Lean oder Agil?

Gegensatz oder Ergänzung?

Lean oder Agil, Tradition vs. Zukunft?

Immer neue Moden mit neuen Modewörtern, gut verpacktes Altes mit neuem Anstrich, nicht umgesetztes Altes wieder aufgewärmt, oder tatsächlich eine revolutionäre Herangehensweise an Unternehmensthemen für die Zukunft? Hat „Lean-Management" nun ausgedient und alles wird zukünftig nur noch „agil"? Wie immer im Leben liegt die Lösung wahrscheinlich in der „breiten Mitte" und muß aus unterschiedlichen Betrachtungswinkeln gesehen werden.
Schlank zu sein, oder schlank zu werden im Bereich von Beständen, Ressourcen und Entscheidungsfindungen war und ist immer noch ein verlockendes Ziel eines jeden Unternehmens. Nicht zuletzt, weil sich dadurch Kosten sparen lassen, Flexibilitäten im Produktionsprozeß erhöhen, Kunden besser bedienen und mit der Schaffung von Standards auch Qualitäten verbessern lassen.
Will man einer Studie Glauben schenken (Hochschule Karlsruhe Technik und Wirtschaft in Zusammenarbeit mit dem Institut für Produktionserhalt e.V. infpro; „Wertschöpfung lohnt"), dann soll für 2019 ein Betrag von ca. 95 Mrd. € ermittelt worden sein, der durch Optimierungen und Anpassungen in Unternehmen hätte gehoben werden können.
Als der Begriff Lean-Management in den 50-er Jahren Einzug in japanische, amerikanische und europäische Firmen hielt, traf er auf eher traditionelle, hierarchiereiche, eher archaische Unternehmenskulturen. Deshalb gelang auch der „im System" arbeitende Ansatz von Lean-Management aus produktionstechnischer Sicht noch relativ gut (Striche auf dem Boden, Schilder an die Wand, Standardprozesse, Fertigung im Fluß etc.), jeder kennt hier sicher genug Beispiele aus der eigenen Praxis.
Größere Hindernisse gab es aber bei der Umsetzung von Themen die „am System" rüttelten, hier sollte plötzlich der Bereich der reinen Produktionsbetrachtung verlassen werden und auf den Mitarbeiter, die Führung, auf Verantwortungsübertragung, auf Kommunikation, auf Stärkung von Eigenverantwortlichkeiten erweitert werden. Auch heute noch kämpfen viele Unternehmen mit den Veränderungen „an ihrem System" und stoßen damit meistens auf ihre eigenen, traditionellen Widerstände. Nicht zuletzt führte eine fehlende Betrachtung des „gesamten Unternehmens" und ein zu oberflächliches Hinterfragen der eigenen Unternehmenskultur zum Steckenbleiben vieler Lean-Ansätze.
In einer sich entwickelnden, reifenden Unternehmenskultur verändert sich auch das „Menschenbild" aus Sichtweise der Führungskräfte und natürlich im Einklang damit auch die Art der „Führung", wenn wir diesen Begriff hier dann überhaupt noch verwenden wollen. Der Weg hin, zu kurzen Entscheidungswegen, zum Handeln in Eigenverantwortung, zur Kontrolle seiner eigenen Arbeit und zu einer wertfreien Kommunikation untereinander, kann nur über eine Veränderung der Betrachtungsweise zu den Mitarbeitern erfolgen. Wer den Schritt über die „Ressource Mitarbeiter", hin zum „Wissensträger und Erfolgsfaktor Mitarbeiter" gedanklich und operativ nicht schafft, wird auch einen großen Teil des Lean-Management-Ansatzes nicht positiv fürs Unternehmen umsetzen können.

Unternehmensbereiche die weniger traditionsgebunden waren (z.B. Forschung, Entwicklung, Design) und Unternehmen im Kreativbereich hatten schon immer das Bedürfnis nach mehr Mitarbeiter- Entscheidung, schnelleren und kürzeren Entscheidungswegen und das frühe Erbproben in der Praxis von Themen und „Produkten". Hierarchische Strukturen und traditionelle Unternehmenskulturen bremsen Innovationen und blockieren Mitarbeiterengagement und Entscheidungsgeschwindigkeiten.
Alles Themen, die heute im Focus von „Agilität" stehen und unter diesem Begriff „vermarktet" werden. Aber auch die Lean-Welt hatte ursprünglich diese Themen, blieb aber oft an den „starren Unternehmenskulturen" hängen, wie oben schon erwähnt.

Die „neue, agile Welt" setzt jedoch mit ihren Anforderungen eine wesentlich reifere Unternehmenskultur voraus, als wir das von der „alten" Lean-Betrachtung her kennen. In einem Unternehmen mit einem hohen Kulturniveau unterscheiden sich Lean-Ansätze und agile Ansätze vermutlich wenig, denn sie alle verfolgen, je nach Produkt und Kunde letztlich dieselben Ziele:

• Anstreben von effizienten Prozessen
• Optimaler Einbezug der Wissensträger „Mitarbeiter"
• Focus auf die Kunden
• Schnelle Entscheidungen auf allen Ebenen
• Transparente Kommunikation über alle Ebenen

Natürlich immer mit dem Ziel: Hohe Qualität zu geringen Kosten in vertretbarer Zeit erzeugen und das Ganze auch noch stabil über längeren Zeitraum zu halten.

Die Frage ob Lean oder Agil stellt sich für mich demnach etwas anders, nämlich in Bezug auf den Status der jeweiligen Unternehmens Kultur und die Bereitschaft diese eventuell zu verändern. Denn die Einführung von agilen Verhaltensweisen und Methoden in noch traditionell verhafteten Unternehmen, wird nie wirklich funktionieren, ebensowenig wie das Arbeiten „am System" aus der Lean-Betrachtung. Hier müßte nach meiner Erfahrung der Focus stärker auf die Unternehmenskultur mit dem Mitarbeiter-Bild gelegt und damit mehr der Wille zur grundsätzlichen Veränderung in den Vordergrund gestellt werden, als die Frage ob „Lean" oder „Agil".
Somit wird es für mich zukünftig heißen:

„Lean und Agil,
Veränderungen für die Zukunft angepaßt an die jeweilige Unternehmenskultur"

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